Werner Doralt über Steuergerechtigkeit im Parteienstreit.
Über die SPÖ, die Vermögenssteuern nachläuft und nicht einmal die Reform der Grundsteuer schafft. Über die Klientelpolitik der ÖVP. Und über Umverteilung, die beim Kindergarten beginnt. Finanzrechtsprofessor Werner Doralt sieht im SN-Gespräch mit Helmut Schliesselberger eine Reihe von Lücken im Steuersystem. Chancengleichheit lasse sich viel eher über besseren Zugang zu Bildungseinrichtungen als über – die nicht funktionierende – steuerliche Umverteilung verwirklichen, sagt der Experte.
Ist unser Steuersystem gerecht?
Doralt: Ein befriedigendes Steuersystem wird es nicht geben, aber wir haben uns an unser grundsätzliches System gewöhnt. Fragezeichen lassen sich immer setzen.
Wo sehen Sie die Lücken?
Doralt: Bisher war das in größerem Ausmaß unter anderem bei den Stiftungen der Fall. Für die laufende Besteuerung sind da die Begünstigungen heute weitgehend abgebaut. Dagegen kann man bei der Gruppenbesteuerung bei uns sogar eine Beteiligung abschreiben. Das ist weltweit einzigartig, in keiner Weise gerechtfertigt und geht ins Geld. Weitere hinterfragenswerte Ausnahmen sind etwa die Pauschalierungen in der Land- und Forstwirtschaft. Auch etliche Befreiungen und Sonderausgaben sind nicht mehr zeitgemäß. Hier könnte man vereinfachen und das Steueraufkommen erhöhen. Zum Beispiel: Das steuerfreie Tagesgeld beträgt bei uns für zwölf Stunden 26 Euro, dagegen in Deutschland sechs Euro. Hunderte Millionen gehen da fürs Budget verloren – die Zeche zahlen jene, die kein Tagesgeld haben.
Wo sehen Sie weitere Schieflagen?
Doralt: Das geht schon in die aktuelle Diskussion hinein. Die SPÖ fordert eine Vermögenssteuer, sie schafft aber nicht einmal die Reform der Grundsteuer. Jeder, der sich in der Steuerpolitik zu Wort meldet, sagt, die Grundsteuer gehört reformiert. Die Regierungsparteien schaffen es aus Angst vor dem Wähler, vor dem „Häuslbauer“, nicht, zu reformieren, was dringend reformiert gehört. Wir haben ein Grundsteueraufkommen von 500 Millionen. Kein Mensch würde sich über die Grundsteuer aufregen, wenn wir die in den letzten 30 Jahren bloß der Geldentwertung angepasst hätten, und wir hätten heute ein Steueraufkommen von 1,5 Milliarden.
Halten Sie Vermögenssubstanzbesteuerung für gerecht?
Doralt: Ich sehe vor allem die steuer- und einhebungstechnischen Probleme, da sehe ich keinen vernünftigen Weg. Ich sehe die Grundsteuer als wesentliche mögliche Vermögensbesteuerung.
Und bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer?
Doralt: Wenn man das Aufkommen aus der Erbschaftssteuer vor deren Aufhebung ansieht, erkennt man, dass zum allergrößten Teil Grundvermögen besteuert wurde. Die Aufhebung der Erbschaftssteuer wäre der Zeitpunkt gewesen, um – politisch durchsetzbar und von den Wählern akzeptiert – die „verlorene“ Erbschaftssteuer auf Grundvermögen in eine Grundsteuerreform hineinzupacken. Für eine umfassende Erbschaftssteuer brauchten wir – wie für die Vermögenssteuer – außerdem ein Verfassungsgesetz.
Können SPÖ und ÖVP mit ihren starken klientelpolitischen Verpflichtungen überhaupt eine Steuerreform in Richtung mehr Gerechtigkeit zusammenbringen?
Doralt: Die blockieren sich gegenseitig. Das lässt sich auflösen nach jeder Nationalratswahl, wenn es zum Koalitionspakt kommt, wenn eine Partei sagt, das ist für uns unabdingbar. Das Eisen ist immer nach der Nationalratswahl heiß.
So heiß, dass man sogar festgefahrene Positionen aufgibt?
Doralt: Stellen wir uns das Spiel gedanklich vor. Die SPÖ sagt, ohne Vermögenssteuer geht gar nichts. Die ÖVP sagt, Vermögenssteuern gibt es mit uns nicht. Dann gibt’s Neuwahlen oder man gibt doch nach und findet einen gemeinsamen Nenner, macht beispielsweise wieder Erbschafts- und Schenkungssteuern. Das Szenario wird man demnächst haben, wenn die SPÖ sagt, mit uns geht es nur mit Vermögenssteuern. Was macht die ÖVP dann?
Eine Koalition mit FPÖ und Stronach.
Doralt: Na gut, das werden sie sich auch nicht trauen.
Der IWF kritisierte eben die hohe Belastung des Faktors Arbeit in Österreich. Alle Parteien sagen, sie wollen die Belastung senken. Warum passiert da nichts?
Doralt: Da muss man die Lohnsteuer und die lohnabhängigen Abgaben, die der Arbeitgeber tragen muss, auseinanderhalten. Die Finanzministerin hat vor zwei Jahren verkündet: Jetzt kommt der einheitliche Steuersatz, der Sozialversicherung und Steuer integriert. Und alles wird ganz einfach. – Heute hört man nichts mehr davon, das ist nicht durchführbar. Eine Finanzministerin sollte das vorher wissen, bevor sie so etwas vorschlägt.
Das BZÖ hat den integrierten Tarif weiter zentral im Programm.
Doralt: Das funktioniert aber nicht. Ein kombinierter Tarif geht technisch nicht und man weiß zudem nicht, wie viel morgen im Budget drinnen sein wird.
Die SPÖ will Vermögenssteuern dazu verwenden, die hohe Besteuerung des Faktors Arbeit zu senken.
Doralt: Wir haben ein gewachsenes System und das kann ich nicht von heute auf morgen umstellen. Ich kann nicht sagen, ich gehe mit der Grundsteuer auf das Zehnfache hinauf. Aber wenn die Grundsteuer auf das Dreifache steigt, das sollte politisch den Leuten zumutbar sein. Es sind die ein bis zwei Milliarden, denen die SPÖ in der Vermögenssteuer nachläuft. Und schließlich: Der Mieter, der sich keine Eigentumswohnung leisten kann, also der Schwächere, zahlt für die Wohnung den zwanzigfachen Betrag oder mehr.Macht die massive Umverteilung unser Steuersystem gerecht?
Doralt: Eines ist sicher richtig, die Umverteilung funktioniert in Österreich nicht. Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer. Aber wenn wir über Steuerpolitik und Umverteilung reden, muss man auch über die Bildungspolitik reden. Wenn ich gute Bildungspolitik betreibe, dann ist das auch Umverteilung, aus der aber alle einen Nutzen ziehen: bessere Berufschancen, weniger Arbeitslose, weniger Kriminalität.
In der Bildungspolitik haben wir aber seit jeher das gleiche Blockadeproblem wie in der Steuerpolitik.
Doralt: Als ich die ÖVP-Forderungen gehört habe – 7000 Euro Kinderabsetzbetrag, noch mehr Geldleistungen in die Familien statt Sachleistungen –, hat mir das geradezu körperliche Pein bereitet. Steuerpolitik und Bildungspolitik sind verzahnt. Man sieht das in Frankreich: Dort gibt es die bessere Kinderbetreuung, dafür niedrigere Kinderbeihilfe, aber eine deutlich höhere Geburtenrate.
Was will dagegen die ÖVP? Sie will höhere Kinderabsetzbeträge, und ich sage: Das ist aberwitzig, wir müssen das Geld in die Kinderbetreuung, in die Kindergärten und in die Schulen investieren. Da liegt die ÖVP auch in der Klientelpolitik falsch. Auch die klassische ÖVP-Klientel braucht viel dringender adäquate Kinderbetreuungs- und Schuleinrichtungen. Auch mit 7000 Euro Kinderabsetzbetrag kann die ÖVP das nicht ausgleichen; auch niedrigere Steuern ermöglichen der Frau nicht, zu Hause zu bleiben.
Abgesehen davon, dass heute die meisten Frauen sich ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit, also ihren Beruf, erhalten wollen; dafür haben sie ja auch eine Berufsausbildung. Bessere Kinderbetreuung kommt allen zugute und auch das ist Umverteilung: Ich verteile bereits für die kommende Generation um, wenn ich für die Kinder bessere Bildungseinrichtungen schaffe. Chancengleichheit geht nicht nur über steuerliche Umverteilung, Chancengleichheit geht vielleicht in noch größerem Ausmaß über den besseren Zugang zu den Bildungseinrichtungen. Und das fängt beim Kindergarten an.
Quelle: Salzburger Nachrichten 17.9.2013